Porträt Maassen und Senft | © Tilmann Lochmüller
Quelle: Tilmann Lochmüller
12. Juni 2023

Globale Herausforderungen, lokale Lösungen: Nachhaltigkeit als Chance für mittelständische Unternehmen

Wir haben Rüdiger Senft und Christian Maassen getroffen und mit ihnen darüber gesprochen, wie mittelständische Unternehmen aus der Region auch in 20 Jahren noch bestehen können, warum es beim Thema Nachhaltigkeit nicht nur um die CO2 -Bilanz geht und was Donuts mit Wirtschaftswachstum zu tun haben.

Rüdiger Senft ist Berater und unterstützt Unternehmen auf ihrem Weg zur Nachhaltigkeit. Mit dem Thema beschäftigt er sich bereits seit über 15 Jahren, die meiste Zeit davon als Head of Sustainability der Commerzbank. Im Anschluss hat er bei den Vereinten Nationen an der Umsetzung globaler Nachhaltigkeits-Prinzipien für Banken gearbeitet und mit einer englischen Nachhaltigkeitsberatung im Mittelstand. Schnell erkannte er, dass Nachhaltigkeit nicht nur eine globale Aufgabe ist, sondern vor allem auch Handeln vor Ort erfordert. Unter anderem durch die Beratung schafft er es, Unternehmen Impulse zu Veränderungen zu geben und sie in ihrem Transformationsprozess zu unterstützen. „Grüne Unternehmen noch grüner zu machen, finde ich nicht so spannend wie die noch nicht so nachhaltigen Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit zu bewegen.“

 

Christian Maassen kam vor 10 Jahren erstmals beruflich mit dem Thema Nachhaltigkeit in Kontakt, als er bei seinem früheren Arbeitgeber Seidel in Marburg an der Markteinführung einer nachhaltigen LED-Lampe beteiligt war. Später betreute er dort die EcoVadis Nachhaltigkeitsbewertung seines Arbeitgebers, bei der das Unternehmen anfänglich noch nicht sehr gut abschnitt. Das motivierte ihn dazu, das Thema voranzutreiben und sich tiefer damit auseinanderzusetzen. Seit 2022 arbeitet Christian als Account Executive bei EcoVadis und informiert Unternehmen über Nachhaltigkeit, wie sie sie bei ihren Lieferanten sicherstellen können und welche Vorteile damit verbunden sind. Besonders seit der Geburt seines zweiten Kindes denkt er darüber nach, welchen Einfluss sein Job auf die Welt und die Zukunft seiner Kinder hat, erzählt er uns.

 

Für viele Unternehmen stellt sich die Frage, wo sie anfangen sollten. Rüdiger betont, dass es für jeden Mittelständler sinnvoll ist, sich systematisch mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen und zu überlegen, welche Chancen und Risiken mit dem Thema verbunden sind. Eine andere, wichtige Übung ist, die Erwartungen seiner Stakeholder, also zum Beispiel der Mitarbeiter*innen, B2B Kund*innen oder der Lieferant*innen, zu analysieren. Nur im Einklang mit den Erwartungen der Stakeholder kann ein Unternehmen auch langfristig erfolgreich sein. Das versteht Rüdiger unter dem Begriff Nachhaltigkeit, den er auch mit „Zukunftsfähigkeit“ umschreibt. Plötzlich umfasst Nachhaltigkeit nicht mehr nur Umweltaspekte sondern auch soziale Themen (Stichwort Menschenrechte in der Lieferkette) und die Art und Weise, wie man ein Unternehmen führt (Stichwort Arbeitgeberattraktivität oder faire Bezahlung). Durch die Analyse lassen sich die Themen identifizieren, an denen die Unternehmen wirklich etwas bewegen können. Und diese gilt es dann auch als erstes zu bearbeiten. Es folgen Nullmessung („Wo stehe ich bei einem bestimmten Thema?“) und das Festlegen von Zielen („Wo will ich hin?“).

 

Um den Status Quo zu bestimmen, empfiehlt Christian Unternehmen konkret, sich von EcoVadis bewerten zu lassen, um eine Risikobewertung für das eigene Gewerbe und das passende Benchmarking für diese Branche zu erhalten. Durch diese Bewertung werden kritische oder verbesserungsfähige Punkte sichtbar. Diese werden priorisiert und es wird eine Anleitung gegeben, wie sie verbessert werden können. Manchmal fehlen den Unternehmen zum Beispiel konkrete Ziele, unter anderem in Bezug auf Arbeitsunfälle oder ähnliche Kennzahlen, erzählt Christian. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Lieferanten bewerten zu lassen, um einen einfachen Vergleich zu ermöglichen. Unternehmen, die gute Ergebnisse erzielen, erhalten eine Medaille, die jedem Einkäufer und jeder Einkäuferin signalisiert, dass sie nachhaltig agieren. So nutzen heute über 1.000 Unternehmen auf der Welt die Informationen von EcoVadis um Ihre Einkaufsentscheidungen abzusichern.

 

Wie aber kann Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit zusammen funktionieren? Hier verweist Rüdiger auf den Ansatz der Donut-Ökonomie von Kate Raworth, den er als passendes Bild für sozial verträgliches Wirtschaften versteht. Dieser stellt planetare Grenzen als den äußeren Rand des Donuts und Mindestanforderungen an soziale Standards als den Rand zum Loch im Innern des Donuts. Es gelte, weder über die planetaren Grenzen hinaus zu wirtschaften noch unter die sozialen Mindeststandards zu fallen. Eine Kombination bei der sowohl ökologische als auch soziale Aspekte berücksichtigt werden. Ein wichtiger Hebel dafür sei beispielsweise eine Kreislaufwirtschaft, sind sich die beiden einig. Die Ressourcen, die wir verwenden, müssen künftig viel effizienter verwendet werden. Derzeit werden viele Produkte nach einmaliger Verwendung einfach weggeworfen. So sind sie gebaut und über Jahre für den schnellen Konsum falsch optimiert worden. „Wir haben begrenzte Ressourcen auf dem Planeten und das heißt, wir müssen sehr scharf überlegen, wie wir diese einsetzen“, sagt Christian.

 

Er ist sich sicher „Wenn wir so weiterarbeiten wie bisher, dann brechen die Systeme einfach automatisch zusammen. Das heißt es werden sich alle, auch die Menschen oder Unternehmen die jetzt nicht wollen, mit Nachhaltigkeit beschäftigen müssen“. Unternehmen in CO2-intensiven Sektoren oder Lieferketten werden besonders betroffen sein, beobachtet Rüdiger. Das rechtlich verbindliche Pariser Klimaabkommen führt zwangsläufig zu mehr Regulierung sei es in Form von Preiserhöhungen für Energie oder durch Vorgaben für mehr Transparenz in der Berichterstattung. Unternehmen, die heute nicht die Weichen stellen seien in 20 Jahren nicht mehr am Markt, so sein Fazit.

 

Zum Schluss gibt es eine positive Einschätzung für Mittelständler. „Ich glaube, viele, gerade mittelständische Unternehmen sind viel nachhaltiger, als sie glauben, weil sie schon immer eher in Generationen gedacht haben als in Quartalen wie etwa börsennotierte Aktiengesellschaften“, so Rüdiger. Ein positives Beispiel für den Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit sieht er in den Betonwerken Rinn aus Heuchelheim, die in einer sehr energieintensiven Branche früh angefangen haben, sich Gedanken zu machen und auch ihre Möglichkeiten systematisch zu identifizieren. Christian sieht das auch bei der Firma Seidel aus Marburg, seinem früheren Arbeitgeber, die 1830 gegründet worden ist und bereits 1989 den Umweltpreis des Landes Hessen erhalten hat. Vor allem die Art und Weise wie mit Lieferant*innen, Arbeitsschutz und Müll umgegangen wird, sei ein Vorbild für andere Unternehmen.

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